Asylrecht und Literatur

Ein Workshop mit Karolin Machtans

Um ihre Bedrohung und Verfolgung (im Heimatland) zu beweisen, müssen Asylbewerber:innen an einer Asylanhörung teilnehmen, die dazu dient, ihre Glaubwürdigkeit zu beurteilen. Laut dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ist die persönliche Anhörung der wichtigste Aspekt der Glaubwürdigkeitsprüfung und entscheidet letztlich über den Ausgang des Asylverfahrens. In der Anhörung sollen die Asylbewerber:innen ihre Fluchtgründe darlegen, indem sie ihre Biografie, ihre Reiseroute und die Verfolgung, der sie ausgesetzt waren, beschreiben. Sie sind dazu „verpflichtet, jederzeit die Wahrheit zu sagen“. Am relevantesten ist, dass ihre Fluchtgeschichte für den Entscheidungsträger überzeugend dargestellt wird, damit ihnen Rechtsschutz gewährt werden kann. Doch was genau gilt als „glaubwürdige“ Geschichte? Welche Fluchtgeschichten werden als „authentisch“ eingestuft und damit durch das deutsche Asylrecht legitimiert?

Seit der Ankunft von über einer Million Migrant:innen und Geflüchteten in Deutschland in den Jahren 2015 und 2016 ist eine steigende Anzahl von (auto)fiktionaler Literatur erschienen, die sich mit den Erfahrungen von Geflüchteten in Deutschland auseinandersetzt. Durch den Einsatz innovativer literarischer Strategien machen diese Texte deutlich, wie sehr der Ausgang des Asylverfahrens von der Fähigkeit der/des Antragsteller:in abhängt, eine glaubwürdige, kohärente und überzeugende Geschichte zu erzählen, die auf die narrativen Regeln des Aufnahmelandes zugeschnitten ist. Sie betonen damit auch die narrative Konstruiertheit von Asylverfahren.

Der Workshop bringt Wissenschaftler:innen und Praktiker:innen aus den Disziplinen Asylrecht und Literaturwissenschaft zusammen, um über die Wechselbeziehungen zwischen Asylrecht und Literatur nachzudenken und das Asylrecht mit Hilfe literarischer Konzepte neu zu denken.

Es werden Fragen und Themen erörtert, wie zum Beispiel:

  • Konventionen: Berücksichtigen Jurist:innen die kulturellen und narrativen Konventionen, die bestimmen, welche Art von Asylgeschichte in einem bestimmten Aufnahmeland – in unserem Fall: Deutschland – als überzeugend angenommen werden, und welche nicht?
  • Übersetzung: Fluchtgeschichten unterliegen verschiedenen Formen der Übersetzung. Inwieweit sind sich Jurist:innen der hochgradig medialen Natur von Asylanhörungen bewusst, und wie kann die Literatur produktiv damit umgehen?
  • Künstliche Intelligenz: Künstliche Intelligenz wird nicht nur eingesetzt, um die Sprache einer/eines Asylbewerber:in und seine vermutete Staatsangehörigkeit zu bestimmen. Vielmehr werden durch die Datenextraktion aus Mobiltelefonen und Social-Media-Accounts die Erzählungen von Asylbewerber:innen auf ihre Plausibilität hin überprüft, was die Frage aufwirft, wer dafür verantwortlich gemacht werden kann, wenn eine automatische Interpretation dieser Daten fälschlicherweise zu einem negativen Glaubwürdigkeitsurteil führt. Inwieweit werden die Herausforderungen und Risiken der künstlichen Intelligenz im Asylrecht und in der Literatur  reflektiert?

Der Workshop findet gemeinsam statt mit:

Markus Kotzur Prodekan für Internationales und Forschung und Professur für Europa- und Völkerrecht an der Universität Hamburg

Dörte Bischoff – Professorin für Neuere deutsche Literatur an der Universität Hamburg, Leiterin der Walter A. Berendsohn Forschungsstelle für deutsche Exilliteratur