#ThursdayColloquium von Massimo Leone
Das Bedürfnis nach Identifizierung ist für jede Gesellschaft von grundlegender Bedeutung und wird im Bereich der Strafverfolgung besonders wichtig. In der Geschichte der Kriminalität hat sich ein dynamisches Wechselspiel zwischen Versuchen, Identitäten zu verschleiern, zu verändern oder zu fälschen, und den unerbittlichen Bemühungen der Gesellschaft, diese Täuschungen aufzudecken und zu entlarven, entwickelt. Die Semiotik mit ihrer Expertise in der Analyse von Zeichen bietet ein einzigartiges Objektiv, durch das die Mechanismen der Erkennung und Identifizierung untersucht werden können, insbesondere in forensischen und kriminologischen Kontexten.
Von allen menschlichen Attributen wird dem Gesicht seit jeher der höchste Wert für die Identifizierung der Person zugeschrieben. Die moderne Forensik hat jedoch die Grenzen des alleinigen Verlassens auf das Gesicht aufgezeigt und dessen Potenzial zur Täuschung erkannt. Inspiriert von den Praktiken östlicher Traditionen in China, Japan und Indien hat sich die forensische Wissenschaft dem Fingerabdruck als zuverlässigerem Identifizierungsmittel zugewandt. Im digitalen Zeitalter hat sich jedoch auch der Fingerabdruck selbst verändert: Er wurde zunächst digitalisiert und steht nun zunehmend im Schatten der Gesichtserkennungstechnologien.
Die Rückkehr des Gesichts als zentrales Identifizierungsmerkmal in der KI-gesteuerten Forensik wird von komplexen soziokulturellen Vorurteilen begleitet, die in diese Systeme eingebettet sind. Die Semiotik spielt eine entscheidende Rolle bei der Aufdeckung und dem Verständnis dieser verborgenen Einflüsse und beleuchtet, wie sie Praktiken der Identifizierung prägen und welche ethischen Herausforderungen sie in einer Welt darstellen, in der die Technologie zunehmend die menschliche Identität vermittelt.
Diese Veranstaltung richtet sich an HIAS-Fellows und Tandempartner:innen.
Image Information
Johann Christoph Andreas Mayer. 1788. Anatomische Kupfertafeln: nebst dazu gehörigen Erklärungen, Vol. 4: «Eilf Kupfertafeln von den Sinnwerkzeugen und den Brüsten». Berlin and Leipzig: Decker.