“Lass uns über Pilze sprechen…”

Leoni, Küchenchefin im HIAS, führt mit Sol Gruner einen “Kitchen Talk” über Essen und Pilze.

Leoni Hallo Sol, ich freue mich sehr, dich hier begrüßen zu dürfen! Du bist im Grunde kurz davor, Hamburg wieder zu verlassen – kannst du mir ein wenig über dich erzählen, woher du kommst und was du machst?
Sol Nun, ich beschäftige mich grundsätzlich mit „high pressure biology“ und Röntgendetektortechnologie. Aber vielleicht relevanter für das Essen ist, woher ich komme: Ich bin auf einer Farm in den Vereinigten Staaten aufgewachsen. Meine Eltern kamen aus Europa und es gelang ihnen schnell, einen Bauernhof zu pachten – einen kleinen Bauernhof.
Leoni Aus welchem Teil Europas sind deine Eltern ausgewandert?
Sol Die Gegend, aus der sie stammten, liegt heute in der Westukraine; zu der Zeit, als sie dort waren, lag sie in Ostpolen.
Leoni Würdest Du Dich als Feinschmecker bezeichnen?
Sol Oh ja! Ich koche gerne. Eines der Dinge, die ich in Hamburg am meisten vermisse, ist meine eigene Küche.
Leoni Das kann ich sehr gut nachvollziehen. Hast du während deiner Zeit in Hamburg bestimmte Speisen vermisst?
Sol Oh, viele Dinge, aber gleichzeitig habe ich es genossen, hier zu sein. Das würde ich gern erklären: Wie ich bereits erwähnt habe, stammen meine Eltern aus Osteuropa und ich bin mit osteuropäischem Essen aufgewachsen. Meine Essgewohnheiten änderten sich jedoch als ich auf dem College war; sie wurden viel breiter. In Deutschland hatte ich nun die Gelegenheit, Speisen zu erleben, die ich wirklich schon lange, lange nicht mehr hatte.
Leoni Oh, das ist wunderbar! Hast du ein Lieblingsgericht, das deine Mutter früher zubereitet hat?
Sol Piroggen! Früher machte sie Piroggen mit einer Füllung aus Kartoffeln, Pfeffer und Zwiebeln. Einfach spektakulär… Ich habe es leider nicht geschafft, das Rezept aus ihr herauszubekommen, was ich sehr bedaure. Es ist nicht so, dass wir es nicht versucht hätten und es ist nicht so, dass sie nicht kooperativ war. Es ist einfach wie bei vielen Eltern: “Ein bisschen davon und ein bisschen hiervon” und der Versuch, all die kleinen Dinge richtig zu kombinieren, hat nicht funktioniert. Es hat nicht richtig geschmeckt. Ich fragte meine Mutter: “Was habe ich falsch gemacht?” Und sie fragte: “Welche Zutaten hast du genommen?” Ich ging das Rezept durch, so wie sie es mir gesagt hatte, und sie sagte: “Nun, du hast das XXX vergessen, und ich sagte: “Du hast mir nichts von XXX erzählt!” Und sie antwortete: “Jeder weiß, dass XXX in das Rezept gehört!” Nach zwei oder drei Runden gab ich auf.
Leoni Das kann ich nachvollziehen. Was kommt dir bei deinem Aufenthalt in Hamburg in den Sinn: Welches Essen war außergewöhnlich oder besonders?
Sol Nun, eine Sache, die es in den Vereinigten Staaten selten gibt, ist die Vielfalt an Fischen. Und als jemand, der Hering und geräucherten Fisch mag, ist es ein Fest für die Sinne für mich.
Leoni Was war das extremste Essen, das du je gegessen hast?
Sol Am extremsten….
Nun, in diesem Zusammenhang würde ich Dir gern etwas von Pilzen erzählen: Von meiner Mutter hatte ich gelernt, Pilze mit saurer Sahne und Zwiebeln zu braten. Aber das ist nicht meine extreme Begegnung mit Pilzen.
Meine extreme Begegnung mit Pilzen war, als ich auf dem College war, das war am MIT in Boston. Ich streunte häufig durch Buchhandlungen und eines Tages entdeckte ich ein Buch von Louis C.C. Krieger mit dem Titel “The Mushroom Handbook”. Es war ein Nachdruck eines klassischen Pilzbuchs aus der Mitte der 1930er Jahre. Und da ich so bin, wie ich bin, kaufte ich das Buch und fing an, es durchzuarbeiten. Es beschrieb essbare und nicht essbare Pilze. Und ich dachte: “Ich werde mal versuchen, ein paar Waldpilze zu suchen.” Ich fand schließlich einen mit Pilzen bedeckten Hügel.
Ich habe intensiv recherchiert und analysiert, um zu erkennen, mit welcher Art Pilzen ich es zu tun hatte. Ich habe sie dann gebraten und gegessen und sie waren sehr, sehr gut. Am selben Tag ging ich zu meinem Briefkasten und da war ein Umschlag ohne Absenderadresse. Es war ein handgeschriebenes kleines Cartoon-Büchlein von etwa zehn Seiten. Es erzählte die Geschichte eines jungen Mannes, der hinausgeht und Waldpilze probiert, die giftig waren und er stirbt. Das war ungefähr anderthalb Stunden, nachdem ich meine ersten Waldpilze konsumiert hatte!
Leoni Oh nein, was für ein Albtraum!
Sol Im Nachhinein stellte sich heraus, dass das Büchlein eine Freundin geschrieben hatte, der ich von meinem Vorhaben erzählt hatte. Sie wusste jedoch nicht, dass ich beim Empfang des Büchleins bereits Waldpilze gegessen haben würde. Das war reiner Zufall. Sie schrieb diese kleine Geschichte nur, um uns zu unterhalten. Ich habe es geliebt.
Leoni Was war dein denkwürdigstes Essen, das du je gegessen hast?
Sol Es war in Rom, und es ging um – Pilze! Meine Frau und ich waren auf einer einwöchigen Städtereise in Rom und wir haben an unserem letzten Abend vor unserer Abreise ein fantastisches Menü gegessen – wir fanden beide, es sei das beste Menü, das wir je hatten. Der beste Teil des Essens war ein Gericht mit Waldpilzen. Es war ausgezeichnet. Und in dieser Nacht bekamen wir: eine Lebensmittelvergiftung.
Es war das schlechteste Ergebnis eines der besten Gerichte unseres Lebens! Wir hatten das Gefühl, dass wir es nicht überleben würden. Ich hatte sogar Sorge, dass wir ins Krankenhaus gehen müssen. Am Morgen fühlten wir uns etwas besser, gut genug, um praktisch auf allen Vieren ins Flugzeug zu kriechen, um nach Hause zu fliegen.
Leoni Mein Gott! Das klingt in der Tat nach dem denkwürdigsten und besten Essen! Gibt es etwas, das Du gerne von Hamburg zurück in die Staaten mitnehmen würdest?
Sol
Nein, die meisten Dinge, die ich hier wirklich genossen habe, sind auf eine bestimmte Art und Weise zubereitet, die man so nicht mitnehmen kann. Zum Beispiel gibt es hier in der Nähe ein Lokal – es ist eigentlich eine Bar – das den besten Caesar-Salat anbietet, den ich je hatte. Diese Bar hätte ich gerne zu Hause in meiner Nähe… aber den Caesar-Salat werde ich selbstverständlich nicht mitnehmen.
Leoni Aber er wäre ein guter Grund, wieder zu kommen…
Sol Das ist richtig!

zur Übersicht